Liegegurtzeug und was Du darüber wissen solltest

Es wird viel geredet über Liegegurtzeuge. Sie liegen im Trend und halten auch im Hobbysegment Einzug. Es macht halt einfach Eindruck wenn einer mit einem Liegegurtzeug am Startplatz erscheint. Man geht automatisch davon aus: “Der kann schon gut fliegen sonst hätte er nicht so ein Gurtzeug”. Das stimmt natürlich nicht immer. Du kannst Dir auch einen Ferrari kaufen und hast keinen blassen Schimmer wie man das Ding richtig ausfährt 😉 Die heutigen “Liegegurtzeuge” sind eigentlich gar keine richtigen Liegegurtzeuge mehr, sondern oft mehr Sitzgurtzeuge mit Beinsack (ich nenne sie im nachfolgenden aber der Einfachheit halber “Liegegurtzeuge”). Dennoch machen sie fliegerisch einen enormen Unterschied zum Allround Sitzgurtzeug. Ich habe einige Zeit gebraucht um mich mit dieser Art von Gurtzeug richtig wohl zu fühlen. Der Ein- und Ausstieg aus dem Beinsack gestaltet sich, je nach Modell mehr oder weniger schwierig. Bewährt haben sich mittlerweile Gummizüge die am Schuh befestigt werden und mit denen man sich den Beinsack nach vorne holen kann. Dies erleichtert den Einstieg enorm. Oft sieht man Piloten die nur mit Hängen und Würgen in ihre Beinsäcke kommen, dabei die Bremsen loslassen müssen und häufig ihre Flugbahn vergessen… blöd… und gefährlich.

 

Einen großen Vorteil haben die “Liegegurtzeuge” aber. Wenn man erstmal drinn sitzt fühlen sie sich saugut an und sie sind bequem… zumindest in ruhiger Luft. Man fühlt sich wie ein “Checker” und hat alles im Griff. Das Cockpit schön aufgeräumt mit Vario, Handy usw. und die Füße schön warm. Vorausgesetzt man hat einen dicken Beinsack, den die Lycra Pods (als Pods werden die Beinsäcke bezeichnet) werden auf 4000m schon verdammt dünn, da musst Du immer noch eine dicke Hose drunter anziehen auch im Sommer. Auch das Beschleunigen geht deutlich schöner und effizienter im Beinsack.

 

Leistungsvorsprung: Viel diskutiert und nie wirklich gut belegt. Ich kann aus meiner Zeit bei den Herstellern berichten das wir mal ein Gurtzeug bei Airwave gebaut haben. Das hieß Ram Race. Es sah wirklich lustig aus. War eigentlich ein Sitzgurtzeug mit einem enormen Heckbürzel. Bruce Goldsmith hatte damals viele Versuche im Windkanal gemacht und wie ja mittlerweile aus der Aerodynamik bekannt ist, ist es eigentlich wichtiger wie die Strömung hinter dem Körper anliegt und nicht allein wie die Stirnfläche aussieht. Je länger die Luftströmung am Körper anliegen kann, desto kleiner ist der Druckwiderstand der den Formwiderstand mit ausmacht. Der Beinsack vorne reduziert die Stirnfläche im Vergleich zum Sitzgurtzeug, macht aber sehr wahrscheinlich leistungsmäßig nicht extrem viel aus. Ich denke das das Heckbürzel viel wichtiger ist, wie man auch bei den neuesten Wettkampfgurtzeugen sehen kann (Ozone Exoceat, Woody Valley X-Rated7 und auch GTO Light usw.. Bruce stellte damals beim aktuellen Hochleister MagicFR einen Leistungszuwachs von 0,5 GZ fest beim Ram Race im Vergleich zu einem normalen Sitzgurtzeug ohne Bürzel). Liegegurtzeuge verwinden sich oft in der Thermik was die Angriffsfläche vergrößert. Dies kann ebenfalls zu Leistungsverlusten führen. Wenn sich außerdem der Widerstand von Gurtzeug und Pilot verringert im Geradeausflug, vergrößert sich automatisch der Anstellwinkel des Schirmes, was ausgeglichen werden muss. Deswegen halte ich es für wirklich schwierig zu sagen, ob Liegegurtzeuge im unbeschleunigten Flug einen markanten Leistungsvorsprung zum Sitzgurtzeug haben, v.a. in dem Geschwindigkeitsbereich wo wir uns bewegen (32-36km/h). Im beschleunigten Flug der ja immer mehr in Mode kommt, gerade bei den Hochleistern fällt der Leistungsvorsprung wahrscheinlich etwas mehr ins Gewicht. Außerdem sind viele Liegegurtzeuge vom Piloten falsch eingestellt und der ganze Leistungsvorsprung ist allein deswegen schon dahin.

 

Sicherheit: Eines ist ganz sicher. Liegegurtzeuge sind deutlich anspruchsvoller im Extremflugverhalten. Wer es nicht glaubt, soll es selbst bei einem Sicherheitstraining ausprobieren. Der größere Hebel sorgt für mehr Action und Twists (Eindrehen in den Leinen). Deswegen ziehen gute Piloten die Beine an, bevor der Klapper großflächig kommt. Nur so kannst Du größere Twists vermeiden. Ich habe selber schon einige gute Piloten in der freien Wildbahn gesehen, die einen großen Klapper kassiert haben, sofort getwistet wurden und den Retter werfen mussten. Dies wäre mit einem Sitzgurtzeug in aufrechter Haltung nicht so schnell passiert oder wenn sie die Beine schneller angezogen hätten. In vielen Fällen bleiben die Piloten in der gestreckten Position bis zum Aufschlag oder bis der Retter aufgeht.

 

Fazit: Liegegurtzeuge sind im Trend. Sie schauen schick aus, machen warme Füße, haben ein aufgeräumtes Cockpit, vermitteln subjektiv mehr Sicherheit und haben vielleicht auch noch einen kleinen Leistungsvorsprung wenn sie richtig eingestellt sind. Nachteile ergeben sich beim Extremflug, Ein- und Ausstieg in den Pod und dem oft erhöhten Packvolumen. Ich persönlich fliege mittlerweile beides, sowohl Sitzgurtzeuge, als auch Liegegurtzeuge sehr gern, habe mich aber auch erst umstellen müssen. Trotzdem bin ich nach wie vor der Meinung das ein Sitzgurtzeug sicherer ist und auch mit diesem kannst Du große Streckenflüge machen (früher sind fast alle Piloten weite Strecken mit Sitzgurten geflogen). Wenn Du das erste Mal ein Liegegurtzeug fliegst, lass es Dir von einem Fachmann richtig einstellen und zeigen und übe den Ein- und Ausstieg aus dem Pod. Such Dir ein Liegegurtzeug das nicht zu tief (Anm. niedrige Aufhängehöhe) aufgehängt ist. Diese sind am Anfang deutlich schwieriger zu fliegen wie Gurtzeuge die hoch aufgehängt und damit stabiler sind.

Viel Spaß beim Fliegen

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